
Die Klasse für Alle ist das Weiterbildungsprogramm der Universität für angewandte Kunst Wien. Es richtet sich an alle, die sich für die Infragestellung, Neugestaltung und “Wieder-Verzauberung” (Silvia Federici, Re-Enchanting the World) unserer Gesellschaft interessieren.
Die Dringlichkeit der aktuellen existenziellen Gefahren erfordert gemeinschaftliches Handeln und Dialog. Wir laden Menschen jeden Alters, unterschiedlichster Kulturen und Herkünfte, aus allen Berufsfeldern, mit oder ohne Vorbildung und den diversesten Fähigkeiten und Interessen ein, mit uns an einer lebenswerten Gegenwart und Zukunft zu arbeiten.
In der Klasse für Alle lernen wir von- und miteinander und möglichst unhierarchisch. Künstler:innen und andere Spezialist:innen (der Angewandten und von außerhalb) leiten und begleiten dieses Lernen. Gegenseitige Wertschätzung und das Respektieren unterschiedlicher Meinungen bilden die Basis für ein Miteinander.

KOMPOST TAGE
Herbst/Winter 2025/26
Selbst eine verwundete Welt ernährt uns. Selbst eine verwundete Welt hält uns fest und schenkt uns Momente des Staunens und der Freude. Wir müssen dieses Geschenk erwidern. (Robin Wall Kimmerer in „Braiding Sweetgrass. Indigenous Wisdom, Scientific Knowledge and the Teachings of Plants”)
Im Herbst kehren wir zum Komposthaufen und dem Garten zurück, um Robin Wall Kimmerers Aufruf zu folgen, unsere Verbindung zur (natürlichen) Welt kontinuierlich zu erneuern. Kompostieren bedeutet, sich in ökologische Kreisläufe einzufügen – wir üben uns darin, unsere organischen Stoffe sorgfältig zu behandeln, das zu schätzen, was nährend ist, und die Wechselbeziehung zwischen Verfall, Transformation und Wachstum zu erkennen. Wir üben dies auf einer alltäglichen Basis.
Kompostieren ist eine körperliche Praxis, die uns mit der Welt verbindet.
Kompostieren ist Fürsorge – es entwickelt ein Gefühl für Kontinuität, das Aufmerksamkeit, Präsenz, Feierlichkeit und Anwesenheit erfordert. Beim Kompostieren nehmen wir wahr, was da ist, was entsteht, in einer Beziehung der Gegenseitigkeit.
Kompost zu pflegen bedeutet, Beziehungen zu pflegen: Kompostieren ist Lernen-von und Lernen-mit: Menschen, Böden, Gärten, der mehr als menschlichen Welt.
Kompostieren als eine Form der Pflege ist eingebettet in politische, spirituelle, körperliche und ökologische Handlungen. Sich um Kompost zu kümmern bedeutet, sich gegen die kapitalistische Weltordnung zu stellen, die auf Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus, Unterdrückung, Ökozid und Genozid aufgebaut ist.
Kompostieren als Mit-lernen und Fürsorge bedeutet, in Kontakt zu treten, aber auch mehr: Es bedeutet, aktiv zu werden.
Kompostieren ist (ökologischer) Widerstand, Regeneration und Reparatur. (A.L.)
*Das compost collective ist ein offenes Kollektiv. Wer sich aktiv an Komposttagen und der Kompostpflege beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen, mitzumachen! Die Mitglieder des Kollektivs übernehmen die Verantwortung für den Bio-Kompostgarten im Hof der Angewandten am Oskar-Kokoschka-Platz. Außerdem organisieren und betreuen sie Kompost Tage und skill sharing sessions. Wenn du Interesse hast, mitzumachen, komm zu den Kompost Tagen oder kontaktiere uns!
In der Klasse für Alle kompostieren wir seit 2022. Das compost collective wurde im Rahmen der Klimabiennale 2024 von den damaligen Kernmitgliedern Vik Bayer, Camille Belmin, Yeonwoo Chang, Kai Feldhammer, Vickie Ferreri, Nola Haag, Ivie Isibor, Andrea Lumplecker und Michael Reindel gegründet. Gemeinsam haben sie nicht nur Strategien entwickelt, um das Kompostieren in den Alltag zu integrieren, sondern praktizieren auch künstlerische Methoden im Zusammenhang mit Kompostieren, wie z. B. deep listening, Schreiben, Bewegen, Lesen, Fermentieren, Flechten und vieles mehr.
Das Programm dieses Semesters – COMPOST DAYS – wird von Vik Bayer und Andrea Lumplecker kuratiert und organisiert. Die derzeitigen Facilitators des compost collective sind Ivie Isibor, Raphaela Leitner, Oleksa Shevchenko und Ritger Traag.



Garten für Alle
seit 2024
Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten von REPAIR im ersten Jahr der Klasse für Alle steht für uns in diesem Jahr der GARTEN FÜR ALLE im Mittelpunkt: als öffentlicher, gemeinschaftlicher Raum zwischen “Natur” und “Kultur”, der immense Möglichkeiten für ein zukünftiges gutes Überleben birgt. Wir wollen mit und von den Gärten lernen.
Im Wintersemester 2022/23 findet in vielfältigen Programmen eine Annäherung and die Gärten unserer Umgebung und ihre Möglichkeiten statt. Im Sommer wollen wir die gesammelten Ideen in Projekten verwirklichen.
Der Garten ist ein realer Raum, den wir aber immer auch als Metapher denken können und weiterhin in globalen, anti-kolonialen und queerfeministischen Zusammenhängen von care & repair.
Wir lernen und arbeiten in diesem Jahr mit unterschiedlichen Grünräumen: dem Hof-Garten des Hauptgebäudes der Universität für angewandte Kunst am Oskar-Kokoschka-Platz 2; der Wiese am Oskar-Kokoschka-Platz – gegenüber dem Eingang zur Angewandten –, die wir in Kooperation mit dem 1. Bezirk als Biodiversitätsfläche betreuen; mit den Beeten im Hof vor unserem Atelier im Heiligenkreuzerhof; und einem Feld am Zukunftshof im 10. Bezirk. Die Auseinandersetzung mit diesen halb-öffentlichen Räumen ermöglicht uns ein Lernen und ein bewusstes Umgehen mit jeder Form von “Natur” in der Stadt, der wir in Zwischenräumen, Mauerritzen, Verkehrsinseln und Abstandsgrün begegnen. Wir lernen miteinander und mit und von anderen Spezies, denen wir an diesen Orten begegnen.

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Am Land aufgewachsen, war meine Vorstellung von Garten lange ein
privater Raum: unter offenem Himmel, aber von Hecken umgeben, uneinsehbar, Besucher:innen empfängt ein Rasen und Rosen. Und jugendliche Langeweile. Weitaus emotionaler ist meine Erinnerung an den Bauerngarten meiner Kindheit. Der blickdurchlässige Zaun war nur Schutz, um Tiere fernzuhalten. In meiner Erinnerung ist er ein Paradies – ein Wunder an üppigem Blühen und Zusammenleben (Würmer, Insekten, Bienen), Gerüchen, Geschmäckern – und ein großzügiges Verschenken dessen, was ohnehin von der Erde geschenkt war. Die Pflege des Gartens meiner Großmutter war deren größte Freude. Ein Stadtmensch wurde aus mir, weil ich an den öffentlichen Parks, egal ob in Wien oder New York, so gerne mochte, dass man im Garten auf unterschiedlichste Menschen treffen konnte. Später mit Kind: Im Park kann man „Freunde machen“, ist nie allein.
In der Pandemie wurde klar: Gärten sind nicht für alle. Wir wurden zurückgeworfen auf Privatheit, wer Besitz hat, hatte Glück und mehr Anrecht auf frische Luft als andere, das Grün in den Städten war zeitweise versperrt. Dann die Hitzesommer: wer kann, flüchtet aus der Stadt, nicht alle können, nicht alle wollen das. Die Stadt ist Lebensmittelpunkt für viele, und sie sollte ein gutes Leben ermöglichen.
Es ist eine Notwendigkeit, den Garten neu zu denken.
In unserer Vorstellung ist der Garten ein sozialer Raum: Es geht ihm und uns nur solange gut, solange wir einander und den nicht-menschlichen Spezies respektvoll gegenüber treten. (Wir erahnen, dass kulturelle Diversität und Biodiversität miteinander zu tun haben könnten.)
Der Garten ist in diesem Aufeinandertreffen ein emotionaler Raum. Es geht um unser Überleben in einer ungewissen Zukunft. Wir stoßen an unsere Grenzen – Trockenheit, Überschwemmungen, Kriege durchkreuzen menschliches Planen und Wünschen – und müssen einfallsreich sein, um weiterzukommen. Im Garten treffen Natur und Kultur aufeinander, Ordnung und Chaos, sichtbare und unsichtbare Systeme: Im Verständnis dafür – und mit der Freude darüber –, wie Pflanzen mit Insekten, Fungi und Mikroben über unsichtbare Systeme interagieren, tun sich neue Möglichkeiten auf.
Ein Bewusstsein für Biodiversität, das Verlangen nach Bodenentsiegelung, nach gesundem Grün mitten in unserer Stadt macht sich schon breit.
Wir müssen mit Nachdruck Forderungen an die Politik stellen für ein rasches und konsequentes Handeln auf breiter Basis. Gleichzeitig ist es notwendig, durch persönliche Erfahrungen in die Tiefe zu gehen: Unser Wissen in kleinste Details erweitern, die Beziehungen zu den kleinsten Insekten verändern, die heilenden Kräfte der Pflanzen erkennen, ihre Farben spüren und riechen, sie deshalb schätzen und schützen. Wir müssen uns hinausbegeben für sinnliche Erfahrungen.
Der Garten ist ein playground, ein Übungsareal. Im Garten zu sein tut gut, macht Freude. Gärtnern ist ein aktiver Dialog mit lebendigem Material – Denken, Fühlen, praktisches Tun gehen Hand in Hand. Aktives Tun bei gleichzeitiger Verlangsamung von Zeit: Wir müssen jetzt handeln, gleichzeitig braucht es Geduld und Ruhe.
Der Garten ist ein empathischer Raum, mit dem wir lernen, gesunde Beziehungen führen zu können. Wir lernen Respekt für die Erde, für alle unsere Mit-Bewohner:innen. Es geht dabei auch um Ästhetik, aber mehr noch um die Magie, die in einem bewussten Miteinander entsteht.
Damit zurück zur Politik, zum kollektiven Handeln, zur Vielheit. Manche Bezirke haben mehr Gärten, mehr Bäume, bessere Luft als andere. Unsere Gärten könnten überall sein, auf Dächern, an Wänden, in Mauerritzen, an Straßenkreuzungen, im Abstandsgrün. Wir üben an den allerkleinsten Möglichkeiten und lernen, Forderungen zu stellen für das Große.
Unser Sehnsuchtsgarten ist ein Garten für Alle.
(Andrea Lumplecker, August 2022)


Repair
2021/22



