klasse für Alle

Die Klasse für Alle ist das Weiterbildungsprogramm der Universität für angewandte Kunst Wien. Es richtet sich an alle, die sich für die Infragestellung, Neugestaltung und “Wieder-Verzauberung”* unserer Gesellschaft interessieren.
Die Dringlichkeit der aktuellen existenziellen Gefahren erfordert gemeinschaftliches Handeln und Dialog. Wir laden Menschen jeden Alters, unterschiedlichster Kulturen und Herkünfte, aus allen Berufsfeldern, mit oder ohne Vorbildung und den diversesten Fähigkeiten und Interessen ein, mit uns an einer lebenswerten Gegenwart und Zukunft zu arbeiten.
In der Klasse für Alle lernen wir von- und miteinander und möglichst unhierarchisch. Künstler:innen und andere Spezialist:innen (der Angewandten und von außerhalb) leiten und begleiten dieses Lernen. Gegenseitige Wertschätzung und das Respektieren unterschiedlicher Meinungen bilden die Basis für ein Miteinander.

*Silvia Federici, Re-enchanting the world

GARTEN FÜR ALLE II
Studienjahr 2023/24

Die Notwendigkeit, uns weiter um den Garten für Alle zu kümmern, bleibt dringlich – wir* lernen in ihm praktisch, metaphorisch, miteinander.
So wie im japanischen Satoyama Wald (einem der Vorbilder für die Wälder, die wir in diesem Studienjahr pflanzen werden) Menschen, Pflanzen, Tiere, Pilze in Kooperationen aufeinandertreffen und dadurch Lebensräume entstehen, wollen wir unseren gemeinsamen Boden – in sozialer und ökologischer Hinsicht – aufbereiten und pflegen.

In gardening groupcompost group und common ground group gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, in der Klasse für Alle mitzumachen: als member einer der drei core groups mit Engagement über das Jahr hinweg und Interesse für Gruppenprozesse, Mitbestimmung und Beteiligung. Genauso ist es wieder möglich, an einzelnen Veranstaltungen teilzunehmen: als participant per Einzelbuchung. Oder immer wieder, ein Semester lang: als participant mit Semesterpass.

Wir freuen uns in diesem Jahr über Kooperationen innerhalb (Social Design, Keramikstudio, Cross-disciplinary Strategies, Angewandte Bibliothek und viele mehr) als auch außerhalb der Angewandten (urbanize!, Klimabiennale, City Farm, Naschgarten beim Zukunfsthof und viele mehr).
Wir freuen uns auf das Lernen und Arbeiten mit euch!

Wir in der Klasse für Alle steht für eine diverse Gruppe an Menschen verschiedenster Lebensrealitäten und unterschiedlicher Bildungshintergründe, über das künstlerische und universitäre Feld hinausgehend, die mehr-als-menschlichen Wesen oft mit einbeziehend

GARTEN FÜR ALLE
Studienjahr 2022/23

Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten von REPAIR im ersten Jahr der Klasse für Alle steht für uns in diesem Jahr der GARTEN FÜR ALLE im Mittelpunkt: als öffentlicher, gemeinschaftlicher Raum zwischen “Natur” und “Kultur”, der immense Möglichkeiten für ein zukünftiges gutes Überleben birgt. Wir wollen mit und von den Gärten lernen.
Im Wintersemester 2022/23 findet in vielfältigen Programmen eine Annäherung and die Gärten unserer Umgebung und ihre Möglichkeiten statt. Im Sommer wollen wir die gesammelten Ideen in Projekten verwirklichen.
Der Garten ist ein realer Raum, den wir aber immer auch als Metapher denken können und weiterhin in globalen, anti-kolonialen und queerfeministischen Zusammenhängen von care & repair.


Wir lernen und arbeiten in diesem Jahr mit unterschiedlichen Grünräumen: dem Hof-Garten des Hauptgebäudes der Universität für angewandte Kunst am Oskar-Kokoschka-Platz 2; der Wiese am Oskar-Kokoschka-Platz – gegenüber dem Eingang zur Angewandten –, die wir in Kooperation mit dem 1. Bezirk als Biodiversitätsfläche betreuen; mit den Beeten im Hof vor unserem Atelier im Heiligenkreuzerhof; und einem Feld am Zukunftshof im 10. Bezirk. Die Auseinandersetzung mit diesen halb-öffentlichen Räumen ermöglicht uns ein Lernen und ein bewusstes Umgehen mit jeder Form von “Natur” in der Stadt, der wir in Zwischenräumen, Mauerritzen, Verkehrsinseln und Abstandsgrün begegnen. Wir lernen miteinander und mit und von anderen Spezies, denen wir an diesen Orten begegnen.

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Am Land aufgewachsen, war meine Vorstellung von Garten lange ein
privater Raum: unter offenem Himmel, aber von Hecken umgeben, uneinsehbar, Besucher:innen empfängt ein Rasen und Rosen. Und jugendliche Langeweile. Weitaus emotionaler ist meine Erinnerung an den Bauerngarten meiner Kindheit. Der blickdurchlässige Zaun war nur Schutz, um Tiere fernzuhalten. In meiner Erinnerung ist er ein Paradies – ein Wunder an üppigem Blühen und Zusammenleben (Würmer, Insekten, Bienen), Gerüchen, Geschmäckern – und ein großzügiges Verschenken dessen, was ohnehin von der Erde geschenkt war. Die Pflege des Gartens meiner Großmutter war deren größte Freude. Ein Stadtmensch wurde aus mir, weil ich an den öffentlichen Parks, egal ob in Wien oder New York, so gerne mochte, dass man im Garten auf unterschiedlichste Menschen treffen konnte. Später mit Kind: Im Park kann man „Freunde machen“, ist nie allein.
In der Pandemie wurde klar: Gärten sind nicht für alle. Wir wurden zurückgeworfen auf Privatheit, wer Besitz hat, hatte Glück und mehr Anrecht auf frische Luft als andere, das Grün in den Städten war zeitweise versperrt. Dann die Hitzesommer: wer kann, flüchtet aus der Stadt, nicht alle können, nicht alle wollen das. Die Stadt ist Lebensmittelpunkt für viele, und sie sollte ein gutes Leben ermöglichen.
Es ist eine Notwendigkeit, den Garten neu zu denken.
In unserer Vorstellung ist der Garten ein sozialer Raum: Es geht ihm und uns nur solange gut, solange wir ­ einander und den nicht-menschlichen Spezies respektvoll gegenüber treten. (Wir erahnen, dass kulturelle Diversität und Biodiversität miteinander zu tun haben könnten.)
Der Garten ist in diesem Aufeinandertreffen ein emotionaler Raum. Es geht um unser Überleben in einer ungewissen Zukunft. Wir stoßen an unsere Grenzen – Trockenheit, Überschwemmungen, Kriege durchkreuzen menschliches Planen und Wünschen – und müssen einfallsreich sein, um weiterzukommen.  Im Garten treffen Natur und Kultur aufeinander, Ordnung und Chaos, sichtbare und unsichtbare Systeme: Im Verständnis dafür – und mit der Freude darüber –, wie Pflanzen mit Insekten, Fungi und Mikroben über unsichtbare Systeme interagieren, tun sich neue Möglichkeiten auf.
Ein Bewusstsein für Biodiversität, das Verlangen nach Bodenentsiegelung, nach gesundem Grün mitten in unserer Stadt macht sich schon breit.
Wir müssen mit Nachdruck Forderungen an die Politik stellen für ein rasches und konsequentes Handeln auf breiter Basis. Gleichzeitig ist es notwendig, durch persönliche Erfahrungen in die Tiefe zu gehen: Unser Wissen in kleinste Details erweitern, die Beziehungen zu den kleinsten Insekten verändern, die heilenden Kräfte der Pflanzen erkennen, ihre Farben spüren und riechen, sie deshalb schätzen und schützen. Wir müssen uns hinausbegeben für sinnliche Erfahrungen.
Der Garten ist ein playground, ein Übungsareal. Im Garten zu sein tut gut, macht Freude. Gärtnern ist ein aktiver Dialog mit lebendigem Material – Denken, Fühlen, praktisches Tun gehen Hand in Hand. Aktives Tun bei gleichzeitiger Verlangsamung von Zeit: Wir müssen jetzt handeln, gleichzeitig braucht es Geduld und Ruhe.
Der Garten ist ein empathischer Raum, mit dem wir lernen, gesunde Beziehungen führen zu können. Wir lernen Respekt für die Erde, für alle unsere Mit-Bewohner:innen. Es geht dabei auch um Ästhetik, aber mehr noch um die Magie, die in einem bewussten Miteinander entsteht.
Damit zurück zur Politik, zum kollektiven Handeln, zur Vielheit. Manche Bezirke haben mehr Gärten, mehr Bäume, bessere Luft als andere. Unsere Gärten könnten überall sein, auf Dächern, an Wänden, in Mauerritzen, an Straßenkreuzungen, im Abstandsgrün. Wir üben an den allerkleinsten Möglichkeiten und lernen, Forderungen zu stellen für das Große.
Unser Sehnsuchtsgarten ist ein Garten für Alle.

(Andrea Lumplecker, August 2022)